Geburt im Dreigenerationenhaus

    Die Hebamme wird zu einer Hausgeburt an einem abgelegenen Ort gerufen, wo die Grosseltern des Neugeborenen in Hörweite leben.

    Gemeinsam mit seinen Eltern leben Samuel und Karin mit ihrer dreijährigen Tochter Julia in einem Zweifamilienhaus. Oben die junge Generation, unten die ältere. Der Garten und viel Alltag werden geteilt. Für alle Beteiligten ist es ein Gewinn: Julia pendelt frischfröhlich von oben nach unten, je nachdem, wer von den Erwachsenen für sie Zeit hat oder wo es das bessere Essen gibt. Karin und Samuel geniessen es, im stressigen Alltag manchmal an einen gedeckten Tisch sitzen und ab und zu die quirlige Julia abgeben zu können.

    Samuels Eltern, «Oma» und «Opa», sind ein Rentnerpaar Mitte sechzig. Sie haben das grosse Haus, in dem sie selbst vier Kinder grossgezogen haben, in ein Zweifamilienhaus umgebaut, damit ihr Sohn mit seiner Familie nahe bei ihnen leben kann. Ihre drei anderen Kinder sind der Liebe wegen ins Ausland gezogen. Auch Schwiegertochter Karin ist eine Deutsche, doch sie und Samuel haben sich für ein Leben in der Schweiz entschieden. «Gottseidank!», sagt Samuels Vater. Oma und Opa verbringen mehrere Wochen pro Jahr im Ausland bei ihren anderen Kindern und Enkeln, was die kleine Julia gar nicht schätzt, weil sie ihre Grosseltern dann schrecklich vermisst. Oma und Julia sind ein Herz und eine Seele, das merke ich sofort. Julia hat keine Zeit für die Hebamme, welche zur hochschwangeren Mama kommt. Sie ist in ein Rollenspiel mit Oma vertieft. Erst am Schluss, als ich den Blutdruck messe und die Herztöne höre, kommen die beiden dazu. Da schaut Julia ganz genau hin, und Oma ist aufgeregt, da die zweite Geburt im Haus ansteht. Karin hat unregelmässige Wehen und mich früh gerufen, da sie bereits eine sehr schnelle erste Geburt hatte. Mein Anfahrtsweg ist lange, ich bleibe deshalb im Haus und warte ab, auch die zweite Hebamme rufe ich dazu. Julia geht zum Znacht und Einschlafen zu Oma.

    Es ist nun 23 Uhr und die Wehen nehmen nicht wirklich zu. Von unten hören wir immer wieder Julia fröhlich plappern und singen. «Julia kann wohl nicht einschlafen», sagt Karin besorgt, «sie schläft immer in ihrem Bett. Wenn wir weg sind, kommt Oma rauf.» Samuel geht nach unten und kommt mit der übermüdeten Julia wieder. «Es geht nicht», sagt er. Wir beschliessen, dass wir uns alle hinlegen, Julia zwischen den Eltern im grossen Bett, ich und meine Kollegin auf dem Sofa. Julia plaudert noch ein bisschen und schläft dann um Mitternacht ein. Auch wir schlafen schnell ein. Wir sind es gewohnt, jede Minute Schlaf zu nutzen. Als Samuel uns eine Stunde später weckt, höre ich Karin intensiv atmen. «Hat sie schon lange so starke Wehen?» frage ich. «Nein, es ist erst die dritte. Sobald Julia eingeschlafen war, ging es los.» Ich bin froh, sind wir dageblieben und ist alles bereit, denn keine 20 Minuten später wird Lenny geboren, ein gesunder Junge. Und da Oma und Opa während der intensiven 20-Minuten-Geburt ebenfalls nicht schlafen können, fiebern sie unten mit und kommen eine Stunde nach Lennys erstem Schrei nach oben – auf leisen Sohlen und mit einer Flasche Sekt in der Hand!