Liebe Grosseltern

    Wie geht es Ihnen in Ihrer Rolle? Welche Beziehung zum Enkel wünschen Sie sich? Was denken die Eltern darüber? Unsere Hebamme wendet sich in ihrer Kolumne direkt an Sie, liebe Grosseltern. Und fordert Sie auf, neugierig zu sein.

    Mit dem steigenden Östrogen und Prolaktin im zweiten Trimester der Schwangerschaft beginnen werdende Eltern meist damit, alles Nötige für das Baby zu kaufen und zu organisieren. Doch nebst den äusserlichen Vorbereitungen beschäftigen besonders die Themen Elternsein und die eigenen Eltern. Deshalb möchte ich heute keine Geschichte erzählen, sondern mich an Sie wenden, liebe werdende oder bereits Grosseltern, und zwar als Hebamme Ihrer Tochter oder Schwiegertochter, Ihres Sohnes oder Schwiegersohnes, Stief- oder Pflegekindes. Als Hebamme komme ich bereits in der Schwangerschaft in Kontakt mit Ihnen – meist noch nicht persönlich, sondern indirekt. Ihre Tochter oder Ihr Sohn erzählt von Ihnen. Von Krankheiten in der Familie, von Ihrem Verhältnis zueinander, davon, wie Sie Ihre Kinder grossgezogen haben und welche Rolle Ihnen zugedacht ist, wenn Sie nun Grosseltern werden. Und im Wochenbett lerne ich Sie dann als engagierte Neu-Oma oder als routinierten Nonno kennen, der die älteren Kinder betreut. Ich treffe Sie als Köchin, Wäscherin, Handwerker, Taxifahrer, Kinderbetreuerin, Zuhörerin, Trösterin … Oder ich begegne Ihnen in Form von Sehnsucht und Schmerz, weil Sie abwesend sind. Gewollt, oder ungewollt. Aber immer sind Sie da. Egal, wie die Beziehung bis zu diesem Zeitpunkt zwischen Ihrem erwachsenen Kind und Ihnen war, sie verändert sich. Ihre Kinder werden selbst Eltern. Meist fragen sich werdende Eltern aber nicht, wie es ihren Eltern geht, wenn diese Grosseltern werden.

    Der Fokus liegt bei ihnen und dem Baby und all den Veränderungen, die kommen. Das ist normal. Dabei vergessen sie oft, dass auch Sie in eine neue Rolle hineinfinden müssen und für alle eine Neuorientierung geschieht. Wie geht es Ihnen dabei, Grosseltern zu werden? Was bewegt Sie? Welche Beziehung wünschen Sie sich zu Ihren Enkeln? Was möchten Sie dafür investieren? Was haben Sie damals, als Sie selbst Eltern wurden, von Ihren Eltern gebraucht und bekommen oder nicht bekommen? Was möchten Sie gleich und was anders machen? Wissen Sie, wie sich Ihre Tochter oder Ihr Sohn Ihre Rolle als Grossmutter oder Grossvater vorstellt? Sind Sie damit einverstanden? Ich möchte Sie ermutigen, diese gemeinsame Erfahrung als Anlass zu nehmen, einander Fragen zu stellen, sich gegenseitig neu zu entdecken, über Rollen und Bedürfnisse nachzudenken und zu sprechen. Seien Sie unsicher und entschlossen, mutig und verletzlich. Wie damals. Seien Sie aber vor allem eines: neugierig. Beginnen Sie zum Beispiel mit dem Satz: «Damals, als du auf die Welt kamst, konnte ich dich nicht fragen, was du brauchst, und habe einfach mein Bestes gegeben. Jetzt wirst du selbst Mutter und ich eine neue Form von Mutter – Grossmutter. Heute kann ich dich fragen, was du von mir brauchst. Das finde ich schön, und es macht mich neugierig.» Rollen verändern sich, Beziehungen erhalten einen neuen Sinn und werden auf einer ganz anderen Ebene bedeutsam. Sie als Eltern sind wichtig. Einfach anders. Aber immer noch, und immer wieder. •