Geteilte Freude

    Daniela hat keine Eltern, mit denen sie sich über die Freuden des neuen Mutterseins austauschen kann. Deshalb schickt sie ihrer Hebamme regelmässig Bilder und Videos. Bis die kleine Tochter sich aufmacht und selber ein Grosi findet.

    Als ich Daniela zum ersten Mal begegne, sitzt sie mir bei ihrer Psychologin mit verschränkten Armen und einem dunklen Blick gegenüber. Der positive Schwangerschaftstest war ein Schock, deshalb bat mich ihre Psychologin um ein gemeinsames Treffen. Ich stelle mich vor, erläutere, was eine Hebamme macht und was ich ihr anbieten kann. Nach jedem Satz macht sie entweder grosse Augen oder wendet sich ab. Behutsam wähle ich meine Worte und beschränke mich auf die wichtigsten Informationen. In Danielas Gesicht meine ich von Neugier über Scham, Ekel, Überforderung bis hin zu Angst alle Gefühle lesen zu können.

    Ich bin mir sicher, dass sie mich nie wieder sehen will. Jedoch: Sie vereinbart einen Termin. Als ich sie eine Woche später im Wartezimmer abhole, begrüsst sie mich mit gesenktem Blick und einem unfreundlichen «Hallo». Sie setzt sich hin und wartet. «Ich freue mich, dass du gekommen bist. Ich war mir nicht sicher, was du von mir und überhaupt von einer Hebamme hältst. Wie geht es dir jetzt?», beginne ich. Sie blickt erstaunt auf. «Ja, das war schon etwas viel auf einmal. Aber du hast alles gut erklärt. Das hat mir geholfen», antwortet Daniela.

    In den nächsten Wochen sehen wir uns regelmässig. Hinter der harten Fassade lerne ich eine verletzliche junge Frau kennen, die alles geben will, um eine gute Mutter zu werden. Stolz trägt sie bereits nach dem ersten Ultraschall den Namen des ungeborenen Mädchens in ihren Schwangerschaftspass ein. Das berührt mich, das macht sonst keine Frau. Daniela hat mit ihren 25 Jahren bereits sehr viel Leid erleben müssen. Mit 17 Jahren verlor sie ihre Lehrstelle, da haben sie ihre Eltern auf die Strasse gestellt. Seither gibt es keinen Kontakt mehr. Mein Respekt und meine Achtung für sie und ihren Weg wachsen mit jedem Teil ihrer Geschichte, den sie mit mir teilt. Bald ist zwischen uns viel Vertrauen gewachsen.

    Gemeinsam mit der Psychologin und weiteren Fachpersonen bereiten wir Geburt und Nachgeburtszeit vor. Daniela schafft es, sich mutig ihrer Geschichte und ihrer Zukunft zu stellen. Es kommt nicht alles gut. Ihre Beziehung geht in die Brüche, es braucht einen Klinikaufenthalt. Doch vieles hat sich dennoch verändert. Daniela hat einen Sinn im Leben gefunden, eine neue Rolle, in der es ihr wohl ist, in der sie aufgeht. Die kleine Lena öffnet die Welt für ihre Mama auf eine Weise, dass auch diese der Welt wieder begegnen kann. Weg ist der düstere Blick, die Verschlossenheit. Seit über zwei Jahren bekomme ich jeden Monat ein Update über Lenas Entwicklungsschritte, Bilder von Ausflügen, dem ersten Zahn, manchmal ein Video. Ich höre Daniela beim Filmen mit Lena sprechen – liebevoll, geduldig, stolz. Daniela hat keine Eltern oder Grosseltern, mit denen sie ihre Freude teilen kann. Deshalb schickt sie die Fotos und Videos immer noch mir.

    Letzthin hat sie angerufen und erzählt, dass Lena selbst ein Grosi gefunden hat. Beim Entenfüttern ging die Zwei jährige frischfröhlich auf die ältere Dame zu. Doch davon erzähle ich Ihnen in der nächsten Kolumne…